Der ehemalige LASK-Trainer Valérien Ismaël (von Juli 2019 - Juli 2020 Chefcoach und Sportdirektor der Linzer - siehe auch HIER) war zu Gast beim Sky Sport Austria Podcast „DAB | Der Audiobeweis Spezial Euro 2024“. Dabei äußerte sich der 48-jährige Franzose auch über das EURO-Auftaktmatch von Österreich um den deutschen ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick gegen Frankreich (0:1).

„Das kann man so sagen, dass Frankreich mit einer blutigen Nase davongekommen ist"

Valerien Ismael (Ex-LASK-Trainer) über...

seinen gegenwärtigen Alltag: „Mir geht es gut. Ich bin zuhause und kümmere mich um meine Familie. Es ist Zeit, ein Vater zu sein. Es gibt viel zu tun mit Kindern, die in die Schule gehen, mit Hausaufgaben und so weiter. Sie sind auch sportlich unterwegs, trainieren drei Mal die Woche beim Turnen. Daneben ist es natürlich mein Job, Fußball zu schauen, Gespräche zu führen, zu reisen. Es ist nicht langweilig.“

den 1:0-Sieg Frankreichs gegen Österreich: „Das kann man so sagen, dass Frankreich mit einer blutigen Nase davongekommen ist, wobei man die Leistung ein bisschen einordnen muss. Wenn man Frankreich in unterschiedlichen Turnieren gesehen hat, starten sie immer mit solchen Leistungen bzw. Ergebnissen. Es geht klar um das Ergebnis, das Spiel zu gewinnen, egal wie, um das Selbstvertrauen zu tanken und den Druck ein bisschen aus dem Kessel rauszunehmen.

Es war kein schönes Spiel. Österreich hat versucht, durch das Pressing und die Intensität die Franzosen ein bisschen zu Fehlern zu zwingen oder das Spiel rauszunehmen, was nicht gelungen ist. Frankreich hat das Spiel gut kontrolliert, allerdings war, gerade in der ersten Halbzeit, keine große Chance zu sehen. In der zweiten Halbzeit hätte die Riesenchance von Mbappe vielleicht den Spielverlauf geändert für Österreich, aber es blieb bei 1:0 und das ist immer gefährlich. Am Ende kann immer ein Freistoß oder eine Ecke kommen.“

„Spielerisch hatten sie aber wenig zu bieten, viele Fehler im Spielaufbau"

…die Ursachen für die Niederlage Österreichs: „Österreich hat im letzten Drittel der Mut gefehlt, den Abschluss zu suchen und den Franzosen wehzutun. Ich hätte ein bisschen mehr erwartet von Österreich, dass es wirklich gefährlich wird für die Franzosen. Die Intensität war gut, die Aggressivität war gut, wenn auch vielleicht zu viel in der ersten Halbzeit. Spielerisch hatten sie aber wenig zu bieten, viele Fehler im Spielaufbau. Daran müssen sie noch arbeiten, weil es auf diesem Niveau wichtig ist, das Spiel zu kontrollieren und sich selbst Chancen zu kreieren.“

Frankreichs Herangehensweise an das Österreich-Spiel: „Die Vorbereitung war ganz klar fokussiert, der Respekt war da. Man konnte nicht wirklich einordnen, was auf die Franzosen zukommt. Man hat gesehen, dass die Franzosen sehr gut vorbereitet waren. Sie sind nicht in Konter reingelaufen. Wenn es einmal passiert, können sie das abfangen. Einmal haben sie Glück gehabt, bei der einzigen klaren Torchance für Österreich. Im Grunde genommen waren sie sehr konzentriert. Sie wussten genau, dass das Umschaltspiel eine ganz große Stärke Österreichs ist.

Das haben sie unter Kontrolle gehabt. Sie haben den Gegner ernst genommen, aber der Fokus war darauf, das Spiel zu gewinnen. Didier Deschamps ist da sehr pragmatisch, was das angeht. Es geht nicht darum, schön zu sein, in einem Turnier, gerade im ersten Spiel. Das erste Spiel ist enorm wichtig und gibt das Tempo für den Rest des Wettbewerbs vor. Es ist klar, dass die Mannschaften sich von Spiel zu Spiel steigern. Dann kreiert man sein Momentum und es steigert sich die Leistung.“

…die lange Amtszeit von Didier Deschamps: „Er ist sehr flexibel. Er hat über die Jahre viel probiert, kennt seine Spieler perfekt und weiß, wie er sie einsetzt, egal ob das ein 4-4-2, 4-3-3 oder 4-1-4-1- ist. Er hat auch einmal versucht, mit einer Dreierkette zu spielen. Als Giroud in seiner ‚Prime‘ war, hat er um Giroud und Griezmann alles gedreht. Jetzt ist Mbappe die zentrale Figur und das Offensivspiel wird um ihn herum konstruiert. Das hat er immer wieder gut geschafft, aber immer mit demselben Motto. Es geht darum, das Spiel zu gewinnen, mit dieser Siegermentalität. Es geht darum, aus der Gruppenphase rauszukommen, dann kümmert er sich um die Leistung der Mannschaft.“

„Sein Ausfall wäre ein schwerer Schlag"

…die Bedeutung eines etwaigen Ausfalls von Kylian Mbappe: „Ich glaube, dass das schon ein riesiger Unterschied wäre, er ist der Unterschiedsspieler. In so einem Turnier brauchst du deine Unterschiedsspieler. Man hat bei der WM gesehn, wie wichtig Messi für Argentinien war. Er hat seine Momente. Man hat am Montag in einem zerfahrenen Spiel gesehen, dass er seine Momente hat. Dann ist er dafür da, das Tor zu machen.

Für diese Momente wird er gebraucht. Sein Ausfall wäre ein schwerer Schlag. Es ist keine Frage, dass die Qualität da ist, das zu kompensieren, aber mit Kylian Mbappe tritt die Mannschaft natürlich komplett anders auf.“

„Ich glaube, dass die frühen Karten von Mwene und Wöber das Spiel beeinflusst haben"

...die österreichische Defensivleistung gegen Frankreich: „Ich würde unterteilen zwischen Arbeit gegen den Ball und mit dem Ball. Gegen den Ball war Österreich exzellent, sehr aggressiv, vielleicht zu aggressiv. Ich glaube, dass die frühen Karten von Mwene und Wöber das Spiel beeinflusst haben. Beim Tor konnte Mwene nicht richtig in den Zweikampf gehen, musste richtig vorsichtig sein. Sie haben versucht zu pressen, haben mit Intensität gespielt, waren gut organisiert. Das war klar zu sehen. Mit dem Ball haben sie sich aber nicht viel zugetraut. Es waren viele Ballverluste, viele Bälle direkt ins Aus. Da müssen sie sich steigern, wenn sie wirklich eine Chance haben wollen, weiterzukommen.

So viel Energie, wie dieses Spiel gekostet hat, so kannst du nicht in jedes Spiel reingehen. Das wirst du spüren. Dann brauchst du diese Phasen mit dem Ball, wo du mehr Kontrolle hast. Gernot Trauner kam ins Spiel mit Arnautovic und Wimmer, das hat gut getan, dass auf einmal der Ballbesitzanteil 50:50 war. Österreich hatte mehr Kontrolle, konnten sich mehr die Bälle zuspielen. In den letzten 20 Minuten hatte man zumindest das Gefühl, es könnte etwas passieren. Wenn sie das schaffen im nächsten Spiel, diese Balance zu finden zwischen Aggressivität, Organisation, aber auch mit dem Ball mutig zu sein, Chancen zu kreieren, ins Eins gegen Eins zu gehen, mehr auf das Tor zu schießen, dann werden sie mehr Chancen haben, das Spiel zu gewinnen.“

„Ich habe mich tierisch geärgert"

…seine Emotionen vor dem Fernseher bei Österreich-Frankreich: „Ich habe mich tierisch geärgert. Ich habe mit meiner Frau geschaut. Wie ich all die Chancen gesehen habe, habe ich gesagt, dass du auf diesem Niveau dafür normalerweise noch bestraft wirst. Österreich hat mir auch das Gefühl gegeben, dass sie in der Lage sind nachzulegen. Gott sei Dank hat N’Golo Kante einen Bombentag erwischt, er hat alles abgefangen, sogar diesen letzten Lauf, wo Wimmer alleine aufs Tor gelaufen wäre. Man hat schon gesehen, dass man auf diesem Niveau seine Chancen nutzen muss. Die Franzosen müssen daraus lernen, so wie Österreich. Man sollte bei einer 1:0-Führung zumindest das Gefühl haben, dass die Defensive gut steht. Das hat mich tierisch aufgeregt, weil ich wusste, dass alles passieren kann.“

 

…die unterschiedlichen Herangehensweisen von Frankreich und Österreich: „Es geht um die Einstellung vor dem Turnier. Frankreich hat das Spiel angefangen, um es zu gewinnen. Bei Österreich war es mehr: ‚Oh, was kommt auf uns zu? Sind wir in der Lage, mitzuhalten? Was ist unsere Organisation?‘. Sie hatten mehr Fokus auf sich selbst, in ihr Spiel und ihr Auftreten. Bei den Franzosen war es: ‚Es ist egal, wie wir auftreten. Wichtig ist, dass wir das Spiel gewinnen‘. Du hast klar gesehen, dass sie alle Tricks rausgeholt haben, um zu gewinnen, ohne zu versuchen, das zweite Tor zu schießen. Es ist gut gegangen. Wenn Österreich von der ersten Minute an aufgetreten wäre wie in den letzten 20 Minuten, wäre es komplett anders ausgegangen. Österreich sollte das mitnehmen. Sie wissen jetzt, dass sie mithalten können, aber die Grundvoraussetzung ist diese ‚Winning Mentality‘.“

…das Zeitspiel Frankreichs bzw. Mbappes: „Von französischer Seite war es taktisch überragend gemacht. Du hast genau diesen Rhythmus unterbrochen. Du bist einen Mann weniger und hast klar gesehen, dass Österreich einen Ball nach dem anderen ins letzte Drittel geschlagen hat, wie im Powerplay. Diesen Rhythmus zu unterbrechen, dass der Schiri rauskommt, um gelb zu geben, den Wechsel zu ermöglichen. Damit provozierst du natürlich auch Ärger auf der anderen Seite, was sehr verständlich ist. Der Fokus ist dann nicht mehr auf dem Spiel, sondern wo anders. Das sind alle Tricks, die man herausgeholt hat, um das Spiel zu gewinnen.“

„Es gab aber zwei, drei Situationen, wo ich aus österreichischer Sicht nachvollziehen kann, dass man sich fragt, ob er nicht für Frankreich ist"

…die österreichische Kritik an der Schiedsrichterleistung: „Ich kenne das, wenn du das Gefühl hast, dass alle 50:50-Entscheidungen in die andere Richtung gehen. Nur eine Entscheidung war krass für mich, dass er keinen Eckball gegeben hat. Dadurch ist das Tor entstanden dann. Wichtig ist, wie ein Schiedsrichter seine Linie ziehen will, ob er streng oder lockerer ist. Ein Problem ist es, wenn er zu mischen beginnt.

Dann kann man es nicht mehr nachvollziehen, das ist sehr schwierig im Spiel. Dann passieren oft diese Probleme und das Gefühl, dass der Schiri das Spiel nicht unter Kontrolle hat. Ich würde nicht sagen, dass der Schiedsrichter das Spiel gestern nicht unter Kontrolle hatte. Es gab aber zwei, drei Situationen, wo ich aus österreichischer Sicht nachvollziehen kann, dass man sich fragt, ob er nicht für Frankreich ist.“

seine allgemeinen Eindrücke der EM bisher: „Es gab schon schöne Spiele, sehr taktikgeprägt. Die Balance zwischen Dreierkette und Viererkette hat man deutlich gesehen. Auch viele Pressingsituationen, im Spiel Belgien-Slowakei hat man zum Beispiel diese Intensität gesehen. Sogar Spanien ist ein bisschen vom Ballbesitz abgegangen. Man merkt schon eine gewisse Flexibilität, es ist auch sehr ergebnisorientiert. Der Sieg von der Slowakei gegen Belgien wird jetzt den kleineren Teams Mut geben. Viele große Teams wollten den Druck vermeiden, am zweiten Spieltag schon gewinnen zu müssen.

Deswegen sind die Spiele von Frankreich und England nicht so schön gewesen. Das gehört aber dazu. Was auch interessant zu sehen war, waren die Spieler, die in Saudi-Arabien spielen. Das war die Frage, auf welchem Niveau diese zum Turnier kommen. Man hat deutlich gesehen, dass sie eigentlich nichts an Qualität verloren haben.“

„Guardiola und De Zerbi haben das Spiel komplett geprägt, was den Ballbesitz betrifft"

seine nächste Trainerstation: „Wir sind offen. Meine Berater und meine Agentur haben viele Gespräche geführt. Wir haben uns getroffen mit Vereinen. Manchen Vereinen habe ich abgesagt. Vom Gefühl her hat man ein bisschen Erfahrung. Es muss auch mit der Familie passen. Es ist alles möglich, je nachdem was der Markt hergibt. Die Dinge können sehr schnell gehen in meinem Beruf, deswegen muss man immer wach sein. Ich genieße es aber auch im Alltag, für meine Kinder da zu sein und meine Rolle als ‚Daddy‘ zu übernehmen, weil wir wissen, dass ich morgen weg sein kann.“

 

…die Entwicklung des Fußballs aus taktischer Sicht: „Ich habe viel gelernt, bin in vielen Situationen viel ruhiger geworden. Ich bin auch in meiner persönlichen Philosophie weitergekommen. Das hat man bei meinen letzten zwei Stationen gesehen. Es war mehr ballbesitzorientiert, mit dem Willen mehr Lösungen zu finden mit dem Ball. Das ist eine permanente Evolution. Das Spiel hat sich so entwickelt. Guardiola und De Zerbi haben das Spiel komplett geprägt, was den Ballbesitz betrifft. Viele Trainer haben viele Ideen übernommen. Man ist viel mehr beschäftigt, Lösungsansätze zu finden.

Gegen den Ball, wie man presst, diese Flexibilität. Das hat man noch beim LASK gesehen, dieses aggressive Einlaufen hat super funktioniert. Mittlerweile wollen die Mannschaften dieses aggressive Einlaufen, um rauszuspielen. Das heißt du musst vorsichtig sein, dass du nicht mehr so einläufst, weil der Gegner genau das möchte. Sie nützen den Torwart viel mehr. Die letzten drei, vier Jahre hat sich viel geändert. Es ist immer eine konstante Bewegung im Spiel, da musst du eine Balance finden. Die EM reflektiert eigentlich eine ganze Saison eines Vereins in kurzer Form.“

…die Einflüsse von Trainerkollegen auf seine Philosophie: „Ich bin immer offen für Trainer, die neue Ideen einbringen und versuchen, Dinge zu ändern. Zuletzt hat De Zerbi wirklich viel geändert. Er hat viele Mannschaften ermutigt, das hohe Pressing des Gegners zu akzeptieren und Lösungen gegeben. Viele Mannschaften haben danach auf Ballbesitz gespielt.

Als ich 2020 in die Championship gekommen bin, haben 70% der Mannschaften direkt gespielt, hoch, mit Zweikämpfen. Mit Watford war das umgekehrt. 70% der Mannschaften hat Ballbesitz gespielt. Dann hat man deutlich gesehen, wie sich die Liga komplett geändert hat. Die Mannschaften, die direkter gespielt haben, waren im unteren Bereich. Die Mannschaft mit Ballbesitz waren im oberen Bereich. Dieser Einfluss der Premier League auf den europäischen Fußball war klar zu sehen. Es wäre interessant, wenn De Zerbi nach Frankreich zu Marseille geht, ob die Franzosen auch diese Philosophie verfolgen werden.“

„Es ist klar zu sehen, dass Xabi Alonso der Auslöser dafür war, was gerade auf dem Trainermarkt passiert“

Trends auf dem Trainermarkt: „Es ist klar zu sehen, dass Xabi Alonso der Auslöser dafür war, was gerade auf dem Trainermarkt passiert. Bayern München sucht mit Kompany dieses Profil, Dortmund mit Nuri Sahin, beides ehemalige Topspieler, die erfolgreich waren. Man traut sich jetzt zu, diese Wege zu gehen. Jeder möchte jetzt seinen Xabi Alonso finden.

Das geht auch rüber nach England, wo Huntelaar jetzt Trainer wird. Das ist eine Tendenz. Wenn Kompany und Sahin jetzt erfolgreich sein werden, ist diese Tendenz komplett in die andere Richtung gerutscht. Sonst wird es nur eine Mode und es wird ein anderes Modell von Trainern auf den Markt kommen. Ich bin gespannt auf die Saison. Viele Mannschaften haben mutige Entscheidungen getroffen. Die Ergebnisse werden dann entscheiden, ob man daran festhält oder nicht.“

…die Wirkung David Alabas von der Bank: „Die Wahrheit ist immer auf dem Platz. Alaba kann bis zum Anpfiff Wirkung haben auf die Spieler, aber am Ende des Tages wird sich die Qualität am Platz zeigen. Das vermisst man einfach, die Geschwindigkeit, die Fähigkeit, von hinten heraus das Spiel zu lesen, die Ruhe im Spielaufbau. Das hast du nicht. Da musst du eine Lösung finden. Sein Part ist klar neben dem Platz als Führungspersönlichkeit. Wahrscheinlich führt er sehr viel Einzelgespräche, um Sicherheit und Rat zu geben. Das macht immer Sinn.“

Fotocredit: Harald Dostal/www.sport-bilder.at, IMAGO/NurPhoto und SID